„Liebling, es ist gut, dass du eine große Wohnung hast! Ein Zimmer werden meine Eltern belegen, sie haben es satt, auf dem Land zu leben!“, sagte der Bräutigam sorglos.

POSITIV

Nina saß mit untergeschlagenen Beinen zwischen verstreuten Zeitschriften und glänzenden Katalogen mit Brautkleidern. Draußen spielte der trübe Oktober mit den letzten Blättern, doch in Ninas Seele war es hell und freudig.

Bis zur Hochzeit waren es nur noch zwei Monate! Sie blätterte durch die Seiten und blieb mal bei dem einen, mal bei dem anderen Schnitt hängen.

„Vielleicht dieses hier?“ Nina hielt das Magazin näher an den Bildschirm und zeigte das Bild ihrer Freundin im Videoanruf.

„Nicht zu extravagant?“

„Für mich ist es perfekt!“ rief Mascha aus, während sie gleichzeitig etwas auf der Tastatur tippte. „Hat es Wanja schon gesehen?“

„Bist du verrückt!“ Nina lachte und klappte das Magazin schnell zu. „Man sagt, der Bräutigam darf das Kleid vor der Hochzeit nicht sehen – das bringt Unglück.“

Nina stand vom Sofa auf und klopfte ihre weichen, flauschigen Hausanzughosen ab. Mascha sprach über einen Stylisten und einen Salon, doch Ninas Gedanken schweiften bereits ab. Fast ein Jahr war sie nun mit Wanja zusammen.

Es waren ihre ersten wirklich ernsthaften Beziehungen, in denen alles durchdacht und verlässlich war. Keine rebellischen Künstler oder ewig klamme Rockmusiker. Wanja war Bauingenieur mit gutem Gehalt, Zukunftsplänen und einem sicheren Job.

Das Einzige, was Nina ein wenig verunsicherte, waren Wanjas Eltern. Margarita Pawlowna – eine stattliche Frau mit einem durchdringenden Blick, der nicht nur Nina, sondern scheinbar ihre ganze Ahnenreihe bis zur siebten Generation durchleuchtete.

Und Nikolai Petrowitsch – ein hagerer, immer schweigsamer Mann, der am Tisch nur mit „Ja“ oder „Nein“ antwortete und ansonsten in sich selbst zu verschwinden schien.

„Nina!“ Mascha riss sie ungeduldig aus ihren Gedanken. „Hörst du mir überhaupt zu? Ich habe gefragt, wann du den Termin beim Stylisten hast!“

„Oh, entschuldige, ich war in Gedanken.“ Nina rieb sich die Nasenwurzel. „Nächsten Donnerstag, am Abend.“

Nach dem Anruf kehrten Ninas Gedanken wieder zu Wanjas Eltern zurück. Bei ihrem letzten Treffen hatte Margarita Pawlowna erneut keine Gelegenheit ausgelassen, um sie zu kritisieren:

„Frikadellen, meine Liebe, muss man mit Liebe machen“, sagte die Schwiegermutter und schob den Teller beiseite. „Mein Wanjetschka mag sie saftiger.“

„Ich werde es das nächste Mal berücksichtigen.“ Nina bemühte sich um ein Lächeln, obwohl ihre Wangenknochen vor Anspannung schmerzten.

„Und wo hast du das Brot gebacken?“ fragte Margarita Pawlowna und musterte den Tisch.

„Ich habe es in der Bäckerei gekauft …“, begann Nina, doch ihre Schwiegermutter schüttelte bereits mit diesem typischen „Ich hab’s doch gewusst“-Blick den Kopf.

„Wanja mag hausgebackenes Brot. Ich backe immer selbst.“

Wanja reagierte nie auf diese Gespräche. Er lächelte nur, als wäre das alles ein harmloser Scherz und keine ständigen Seitenhiebe gegen Nina.

Nur einmal, als Margarita Pawlowna besonders harsch wurde, legte Wanja eine Hand auf Ninas Handgelenk und sagte:

„Mama, jetzt reicht’s, okay?“

Aber es klang nicht besonders überzeugend.

Allerdings lebten Wanjas Eltern auf dem Land, fast drei Stunden von der Stadt entfernt. Sie kamen selten zu Besuch.

Nina versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken – schließlich heiratete sie Wanja, nicht seine Eltern.

Wanja ließ jedoch immer wieder seltsame Bemerkungen fallen – dass es seinen Eltern auf dem Land langweilig sei, dass man sie da irgendwie rausholen müsse.

Nina sah das als ganz normale Sorgen eines Sohnes um seine Eltern an.

Das Geräusch eines Schlüssels im Schloss unterbrach ihre Gedanken.

„Schatz, ich bin zu Hause!“ Wanja kam in die Wohnung gestapft, beladen mit Einkaufstüten.

Seine hellbraunen Haare waren vom Nieselregen feucht, und auf seinem Gesicht lag ein zufriedenes Lächeln. „Ich habe den Wein gekauft, den du dir gewünscht hast!“

Nina lief zu ihm und half ihm, die Jacke auszuziehen.

„Was feiern wir denn?“

„Gar nichts, ich wollte dir einfach nur eine Freude machen.“

Der Abend verlief wunderbar. Sie tranken Wein, schauten eine Komödie und lachten.

Wanja erzählte von einem neuen Projekt bei der Arbeit und schmiedete Zukunftspläne. Es schien alles perfekt zu sein. Fast.

„Übrigens …“ Wanja warf den Satz beiläufig ein, als der Film zu Ende war. „Mein Vater hat heute angerufen. Er sagt, dass Mama auf dem Land ganz deprimiert ist.“

„Vielleicht sollten sie einen Arzt aufsuchen?“ schlug Nina vor und kuschelte sich bequemer in die Couch. „Es gibt heutzutage sehr gute moderne Medikamente gegen Depressionen.“

„Was hat das mit Depressionen zu tun?“ Wanja hob die Augenbrauen. „Ihnen ist einfach langweilig. Die Nachbarn sind weggezogen, der Laden wurde geschlossen … Alles wird schwieriger.“

„Vielleicht könnten sie in ein größeres Dorf ziehen? Dort gibt es mehr Möglichkeiten“, schlug Nina vor.

„Ja, und wovon sollen sie dort leben?“ entgegnete Wanja und trank den letzten Schluck Wein aus. „Ihre Rente ist nicht besonders hoch.“

„Aber du unterstützt sie doch finanziell“, merkte Nina sachlich an.

„Ja, aber …“ Wanja verstummte für einen Moment und schaute aus dem Fenster.

Dann lächelte er plötzlich auf eine seltsame Weise und sagte: „Schatz, zum Glück hast du eine große Wohnung! Meine Eltern könnten ein Zimmer beziehen – sie haben es satt, auf dem Land zu leben!“

Nina erstarrte. Der Moment erinnerte sie an einen dieser seltsamen Träume, in denen man verzweifelt versucht zu rennen, aber die Beine sich nicht bewegen.

Die Worte waren einzeln verständlich, doch zusammen ergaben sie keinen Sinn.

„Du machst Witze, oder?“ Sie lachte nervös.

„Warum sollte ich?“ Wanja griff nach der Weinflasche und schenkte sich nach. „Es ist schwer für sie, das weißt du doch. Und hier können wir ihnen helfen.

Du hast doch nichts dagegen, oder?“ fragte er in einem Ton, als ob er vorschlagen würde, morgen ins Kino zu gehen.

„Wanja …“ Nina stellte ihr Weinglas auf den Tisch. „Aber wir haben das nicht einmal besprochen. Und meine Wohnung ist gar nicht so groß. Drei Zimmer, von denen eines mein Arbeitszimmer ist.“

„Das Arbeitszimmer könnte doch in die Küche umziehen“, schlug Wanja leichtfertig vor, als ginge es nur darum, eine Topfpflanze umzustellen.

— Warte mal, — Nina richtete sich auf. — Du hast mich überhaupt nicht nach meiner Meinung gefragt. Du hast mich einfach vor vollendete Tatsachen gestellt.

— Ich kann sie doch nicht einfach abweisen! — Wanja sah sie überrascht an. — Warum regst du dich so auf?

— Weil es normal gewesen wäre, das zuerst zu besprechen, meine Meinung einzuholen und dann zu entscheiden, — Nina spürte, wie ihr Herzschlag schneller wurde.

— Es sind meine Eltern, — in Wanjas Stimme klang Gereiztheit mit. — Ich habe dich doch informiert, reicht das nicht?

— Wanja, — Nina holte tief Luft und versuchte, ruhig zu sprechen. — Das ist meine Wohnung. Ich habe sie von meinem eigenen Geld gekauft, für das ich fünf Jahre gearbeitet habe.

— Ich dachte, du verstehst, dass Familie alles teilt, — Wanja drehte sich demonstrativ weg und verschränkte die Arme vor der Brust. — Aber offenbar ist es dir zu viel, meinen Eltern ein Dach über dem Kopf zu bieten.

Nina konnte ihren Ohren nicht trauen. „Ein Dach über dem Kopf“? Es ging doch um einen dauerhaften Umzug!

— Hör zu, vielleicht könnten wir ihnen eine Wohnung in der Nähe mieten? — schlug Nina vor. — Ich könnte sogar helfen, die ersten Monate zu bezahlen.

— Warum Geld verschwenden, wenn wir deine Wohnung haben?! — Wanja warf die Fernbedienung auf das Sofa. — Ich verstehe das Problem nicht!

— Das Problem ist, dass du mich nicht einmal gefragt hast! — Nina hob die Stimme, was ihr sonst nur selten passierte. — Du hast für uns beide entschieden, ohne dich dafür zu interessieren, was ich will!

— Muss ich etwa um Erlaubnis fragen, um meinen Eltern zu helfen? — Wanja sprang vom Sofa auf.

In diesem Moment traf Nina die Erkenntnis wie ein Schlag. Wanja hielt es nicht einmal für nötig, ihre Meinung zu berücksichtigen. Er hatte längst entschieden. Und dabei waren sie nicht einmal verheiratet.

Was würde als Nächstes kommen? Würde Wanja kündigen und von ihrem Geld leben? Oder ihr Auto verkaufen, ohne sie zu fragen? Oder… wer wusste, was noch?

— Wanja, — begann Nina.

— Weißt du was, — unterbrach Wanja sie, — wenn es dir so schwerfällt, meine Eltern aufzunehmen, dann sollten wir vielleicht unsere gesamte Zukunft überdenken.

Nina erstarrte. Er stellte ihre Beziehung tatsächlich in Abhängigkeit davon, ob sie bereit war, seine Eltern bei sich wohnen zu lassen?

— Meinst du das ernst?

Wanja schwieg und starrte sie an. Hitze schoss Nina durch den Körper.

— Ich denke, wir sollten uns beruhigen und morgen reden, — sagte Nina und erhob sich, um ins Schlafzimmer zu gehen.

— Keine Chance! — Wanja packte sie abrupt am Handgelenk und hielt sie fest. — Wir klären das jetzt!

Sein Griff war so unerwartet und stark, dass Nina erstarrte. Wer war dieser Mann? War das wirklich derselbe Wanja, mit dem sie das letzte Jahr verbracht hatte?

— Lass mich los, — sagte Nina leise.

— Nicht, bevor wir das geklärt haben, — erklärte Wanja stur.

— Entweder du lässt mich sofort los, oder ich rufe die Polizei, — Nina sah ihm direkt in die Augen. — Entscheide dich.

Sekundenlang hing schwere Spannung zwischen ihnen. Nina hielt seinem Blick stand, auch wenn sie innerlich zitterte. Schließlich löste Wanja seine Finger, und auf ihrem Handgelenk blieb ein rötlicher Abdruck zurück.

— Sorry, — murmelte Wanja und wich zur Seite. — Aber es macht mich einfach wütend, dass du meinen Eltern nicht helfen willst.

Nina rieb sich das Handgelenk und spürte, wie sich in ihr eine tiefe Kränkung ausbreitete. Merkte er wirklich nicht, was gerade passiert war?

Er hatte sie festgehalten, ihr wehgetan – und jetzt tat er so, als wäre er das Opfer?

— Ich gehe schlafen, — sagte Nina leise. — Wir müssen uns beide beruhigen.

— Na schön, — Wanja ließ sich zurück auf das Sofa fallen und drehte demonstrativ die Lautstärke des Fernsehers auf.

Die nächsten Tage vergingen in angespannter Waffenruhe. Nina und Wanja waren höflich zueinander, aber distanziert.

Ihre Gespräche beschränkten sich auf das Nötigste: „Das Brot ist alle.“, „Ich komme später.“, „Mascha hat einen Arzttermin.“ Über seine Eltern oder die geplante Hochzeit wurde nicht gesprochen.

Am Morgen des fünften Tages, als Wanja bereits zur Arbeit gegangen war, klingelte Ninas Telefon. Auf dem Display erschien „Margarita Pawlowna“. Nina atmete tief durch, sammelte sich und nahm ab.

— Guten Morgen.

— Gut wird der sicher nicht! — Die Stimme von Margarita Pawlowna war scharf wie ein Peitschenhieb. — Ich habe gehört, du willst uns nicht aufnehmen! Aber das ist egal, wir ziehen trotzdem ein, Wanja hat es entschieden.

Nina erstarrte mit dem Telefon in der Hand und versuchte, das Gehörte zu verarbeiten.

— Margarita Pawlowna, Wanja und ich besprechen das noch…

— Was gibt es da zu besprechen? — unterbrach die Schwiegermutter sie. — Mein Sohn hat gesagt, dass wir in zwei Wochen umziehen. Nikolai hat bereits einen Möbeltransporter organisiert.

Der Raum schien sich vor Ninas Augen zu drehen. Wanja hatte bereits ein Umzugsdatum festgelegt? Ohne ein Wort zu ihr?

— Margarita Pawlowna, entschuldigen Sie, aber ich muss dringend telefonieren, — sagte Nina hastig, verabschiedete sich und legte auf.

Ihre Hände zitterten, als sie Wanjas Nummer wählte. Er ging nicht ran. Natürlich, er hatte eine Besprechung.

Also schrieb sie ihm eine Nachricht: „Deine Mutter hat gerade angerufen. Sie sagt, ihr habt den Umzug schon entschieden. Wir müssen heute reden.“

Die Antwort kam erst drei Stunden später: „Ja, wir reden heute Abend.“

Der Tag zog sich endlos hin. Nina konnte sich nicht auf die Arbeit konzentrieren, ihre Gedanken kehrten ständig zu dem Gespräch zurück, das am Abend bevorstand. Als Wanja nach Hause kam, wartete Nina bereits im Wohnzimmer – gefasst und entschlossen.

— Hallo, — Wanja sah müde, aber ruhig aus. — Lass uns reden.

— Lass uns reden, — Nina deutete auf den Sessel gegenüber. — Deine Mutter hat gesagt, dass ihr das Datum für den Umzug bereits festgelegt habt. Stimmt das?

— Nun, ich habe es ungefähr eingeplant, — Wanja zuckte mit den Schultern und wich ihrem Blick aus. — Wozu sollte man es hinauszögern?

— Wanja, ich will, dass du mir zuhörst, — Nina bemühte sich, ruhig zu sprechen. — Das ist meine Wohnung. Meine Grenzen. Und ich bin nicht bereit, mit deinen Eltern zusammenzuleben.

— Ist dir denn ein einziges Zimmer zu schade?! — Wanja fuchtelte verärgert mit der Hand. — Du hast drei! Verdienen meine Eltern nicht einmal eine Ecke?

— Es geht nicht um das Zimmer, — Nina schüttelte den Kopf. — Es geht darum, dass du Entscheidungen triffst, ohne mich einzubeziehen. Zum zweiten Mal stellst du mich einfach vor vollendete Tatsachen.

Erst sagst du mir, dass deine Eltern einziehen, dann setzt du das Datum fest. Und meine Meinung interessiert dich nicht.

— Weil deine Meinung egoistisch ist! — Wanja sprang von seinem Platz auf. — Ich dachte, du wärst gütig und fürsorglich, aber es stellt sich heraus…

— Was stellt sich heraus? — Nina stand ebenfalls auf. — Dass ich eine eigene Meinung habe? Dass ich möchte, dass man mich respektiert? Das nennt man Selbstachtung, Wanja.

— Nein, das nennt man Egoismus!

Nina betrachtete Wanjas gerötetes Gesicht, seine geballten Fäuste, und plötzlich wurde ihr klar – sie würde ihr Leben lang für ihren persönlichen Raum kämpfen müssen, wenn sie jetzt keinen Schlussstrich zog.

— Weißt du, Wanja, ich habe in den letzten Tagen viel nachgedacht, — Nina zog langsam den Verlobungsring von ihrem Finger.

— Und ich habe erkannt, dass ich nicht bereit bin, einen Mann zu heiraten, der meine Meinung für unbedeutend hält.

Wanja starrte auf den Ring in ihrer Hand, ohne zu blinzeln.

— Du… du sagst die Hochzeit ab?

— Ja.

— Wegen so einer Kleinigkeit? — Wanja wirkte ehrlich überrascht. — Weil ich meinen Eltern helfen will?

— Nicht deswegen, — Nina schüttelte den Kopf. — Sondern wegen der Art und Weise, wie du es tust. Nimm den Ring.

Wanja bewegte sich nicht, er sah sie nur misstrauisch an.

— Du kannst nicht einfach alles absagen.

— Doch, — sagte Nina entschlossen. — Und ich tue es.

Sie legte den Ring auf den Tisch und verließ den Raum. Die nächste Stunde verbrachte sie damit, Wanjas Sachen in einen Koffer zu packen.

Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, saß Wanja noch immer auf dem Sofa, aber in seinen Augen brannte jetzt Wut.

— Also so läuft das, ja? — knurrte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. — Du setzt mich einfach vor die Tür?

— Wanja, das ist keine Rache, — antwortete Nina müde. — Ich habe nur erkannt, dass wir völlig unterschiedliche Vorstellungen von einer Beziehung haben. Und es ist besser, sich jetzt zu trennen, als uns später gegenseitig zu quälen.

Wanja sprang abrupt auf und riss ihr den Koffer aus der Hand.

— Du wirst es noch bereuen. Du wirst sehen, was du verloren hast.

Als die Tür hinter Wanja ins Schloss fiel, sank Nina auf den Boden und brach schließlich in Tränen aus. Nicht wegen der Trennung – sie wusste erstaunlich sicher, dass sie das Richtige getan hatte.

Sie weinte vor Erschöpfung, wegen der Anspannung der letzten Tage, wegen der Erkenntnis, wie viel sie jetzt absagen musste: das Restaurant, das Kleid, den Fotografen… Aber seltsamerweise machte ihr diese Aussicht keine Angst.

Das Telefon klingelte, als es draußen bereits dunkel war. Margarita Pawlowna.

— Ja, ich höre, — Nina bemühte sich, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen.

— Was hast du getan?! — die Schwiegermutter in spe schrie fast. — Wanja hat mir alles erzählt! Hast du denn kein Herz? Du hast den Jungen wegen so einer Kleinigkeit rausgeworfen?!

— Margarita Pawlowna…

— Schweig! Mein Sohn hat dich geliebt, und du… Du bist so geizig, so egoistisch! Du hast eine Familie zerstört!

Nina hielt sich das Telefon ans Ohr, hörte sich den Schwall an Vorwürfen an – und blieb dabei merkwürdig gelassen. Als Margarita Pawlowna endlich verstummte, sagte Nina:

— Ich habe keine Familie zerstört. Ich habe nie eine geschaffen. Alles Gute.

Dann legte sie auf.

Die nächsten Tage waren mit Organisation ausgefüllt: die Reservierung im Restaurant stornieren, die Gäste benachrichtigen, das Kleid zurückgeben… Doch mit jeder erledigten Aufgabe fühlte sich Nina leichter. Es war, als ob sie eine unsichtbare Last von ihren Schultern abwarf.

Eine Woche nach der Trennung traf sich Nina mit Mascha in einem Café.

— Wie geht es dir? — fragte ihre Freundin besorgt.

— Weißt du, — Nina rührte nachdenklich in ihrem Kaffee, — mir geht es gut. Ich dachte, ich würde leiden, weinen, mich selbst bemitleiden. Aber stattdessen fühle ich… Freiheit.

— Bereust du es nicht?

— Keine Sekunde, — Nina lächelte. — Ich habe etwas Wichtiges gelernt, Mascha. Lieber bin ich allein in meiner Wohnung als mit Schmarotzern, die ich nicht einmal eingeladen habe.

— Gut, dass du rechtzeitig seine wahre Natur erkannt hast.

— Ja, — Nina nickte. — Stell dir vor, wie es gewesen wäre, wenn wir geheiratet hätten. Aber so… liegt mein ganzes Leben noch vor mir. Und ich weiß jetzt ganz sicher – ich werde nie wieder zulassen, dass jemand über mich entscheidet.

Draußen schien die Herbstsonne. Nina ertappte sich dabei, dass sie zum ersten Mal seit langer Zeit tief durchatmete. Ohne Angst, ohne Zweifel.

Die Trennung von Wanja, die wie das Ende schien, war in Wahrheit ein Anfang. Der Anfang eines Lebens, in dem sie endlich gelernt hatte, sich selbst und ihre Grenzen zu schätzen.

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